Im Kampf gegen Wohnungsnot, hohe Wohnkosten und steigende Miet- und Immobilienpreise zeichnet Bauminister Horst Seehofer ein positives Zukunftsbild: Deutschland befinde sich "auf dem Weg zu einem Wunder beim Wohnungsbau". Ist dem tatsächlich so?
"Bauen, bauen, bauen" – mit einer Bauoffensive will die Bundesregierung dem Wohnungsmangel in Deutschland begegnen. Während 65 Prozent der Deutschen die Baupolitik auf dem falschen Weg wähnen (ING-Studie, Februar 2020), sagt Bundesbauminister Horst Seehofer: "Wir sind auf dem Weg zu einem Wunder beim Wohnungsbau."
Bezahlbarerer Wohnraum sei die soziale Frage unserer Zeit, sagt Horst Seehofer. Die Bauwirtschaft laufe auf Hochtouren und sei "der Wachstumsmotor in Deutschland". 350.000 Baugenehmigungen seien erteilt, 700.000 bereits genehmigte Bauprojekte noch nicht umgesetzt, 185.000 Familien hätten das Baukindergeld beantragt – Seehofer wähnt daher Deutschland "auf dem Weg zu einem Wunder beim Wohnungsbau" und sieht gute Chancen, dass das Ziel von 1,5 Millionen neuen Wohnungen bis zum Ende der Legislaturperiode erreicht werde.
Klingt überzeugend. Doch von den angestrebten 375.000 neuen Wohnungen pro Jahr wurden im Jahr 2017 laut der Wohnungsbau-Studie 2019 nur 76 Prozent fertiggestellt. Das Ziel von insgesamt 1,5 Millionen neuen Wohnungen sei unrealistisch, meinen Kritiker.
Auch die Anzahl der Baugenehmigungen wird kritisch gesehen: Zum einen ist sie in den vergangenen Jahren leicht gesunken, zum anderen ist es fraglich, ob mehr Baugenehmigungen auch mehr Wohnungen bedeuten. Das zeigt allein schon der Bauüberhang von 700.000 Projekten.
Dieser Bauüberhang hat sich laut Günter Vornholz, Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum, in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt. Der Grund: zum einen die Spekulation mit Baugrund, zum anderen die Tatsache, dass die Bauunternehmen mit dem Bauen nicht hinterherkommen.
Darüber hinaus sei auch die Anzahl der neuen Wohnungen nicht entscheidend:
Wuchermieten hätten in einer sozialen Marktwirtschaft nichts zu suchen, sagt Seehofer. Es dürfe nicht immer der Stärkere gewinnen. Deshalb spricht er sich nicht generell gegen staatliche Eingriffe in den Mietmarkt aus. Um jene zu unterstützen, "die aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse geringere Chancen haben", habe die Bundesregierung das Wohngeld erhöht und den Betrachtungszeitraum des Mietspiegels verlängert.
Seehofer will auch den sogenannten Wuchermietenparagrafen verändern, damit sich Mieter gegen überhöhte Preise besser wehren können. Aber: "Der Berliner Mietendeckel ist aus unserer Sicht verfassungswidrig und schießt weit übers Ziel hinaus", sagt der Innenminister. Enteignungen und Deckelungen seien hier nicht das Ziel und würden Investoren vertreiben.
Es gibt in Deutschland viel zu wenig Sozialwohnungen – darüber herrscht weitgehend Konsens. Nur jeder Dritte, der Anspruch auf eine geförderte Wohnung hat, erhält auch eine. Horst Seehofer sieht hier die Länder in der Pflicht: "Wir haben erkannt, dass die Bundesländer ihre Aufgabe nicht ausreichend wahrnehmen, für genügend Sozialwohnungen zu sorgen", sagt er.
Der Bundesbauminister weist darauf hin, dass der Bund in dieser Legislaturperiode fünf Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau gesteckt habe: "Rekordniveau", sagt er. Doch die Bemühungen fruchten nicht: Die Zahl der Sozialwohnungen ist von 2006, als es noch knapp 2,1 Millionen davon gab, auf nicht mal mehr 1,2 Millionen im Jahr 2018 geschrumpft.
Jahr
Sozialwohnungen in Deutschland
2006
2.094.170
2007
2.033.900
2008
1.906.140
2009
1.805.562
2010
1.662.147
2011
1.490.700
2012
1.538.742
2013
1.455.816
2014
1.455.816
2015
1.330.461
2016
1.267.939
2017
1.226.337
2018
1.176.458
Stand: 15. August 2019
4. Klimaschutz ja, Verbote nein
"Ich halte nichts von Verboten, wenn sie an der Lebensrealität der Menschen vorbeigehen", sagt Seehofer. Er wolle alte Heizungen nicht verbieten, sondern vielmehr auf Förderungen und Anreize für umweltfreundliche Investitionen setzen.
Bauen in Deutschland ist kompliziert. Es gilt, rund 20.000 Normen zu beachten. Seehofer warnt allerdings vor einem Bürokratie-Abbau: Man solle "sorgfältig abwägen und nicht anfangen, den erreichten Standard pauschal zurückzuschrauben", sagt er. Denn bei vielen Normen ginge es um Sicherheitsfragen. Allerdings wolle man die Folgekosten von neuen Normen künftig von unabhängigen Stellen prüfen lassen.
Bau- und Immobilienwirtschaft drängen hingegen auf einen Bürokratieabbau. "Wir müssen endlich die Baugenehmigungszahlen deutlich nach oben treiben und Planungsprozesse beschleunigen – etwa durch die Einführung einer digitalen Bauakte, die Einführung einer Muster-Hochhausrichtlinie oder die Harmonisierung der 16 unterschiedlichen Landesbauordnungen, um das serielle Bauen zu fördern", sagt Andreas Mattner, Präsident des Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA), dem Spitzenverband der Immobilienwirtschaft.