Wer das Haus von Katrin Riedl und Sebastian Hempel in der Scheuerstraße in Wismar sucht, orientiert sich am besten an den kleinen Touristengrüppchen, die sich immer mal wieder vor der Hausnummer 3 sammeln. Der schmale, hohe Bau mit der klaren Fassade, dem steilen Dach und einem verzinkten Erker-Rechteck ist der Hingucker in der eng gefädelten Häuserzeile.
Obwohl eindeutig ganz frische, moderne Architektur, mutet es an, als hätte an dieser Stelle nie etwas anderes gestanden. Der Flaneur bleibt stehen und staunt.
Baulücke war nur fünf Meter breit
Vor einigen Jahren noch markierten fragile Fassadenreste eines mehrere Hundert Jahre alten Hauses hier eine Lücke, die das junge Architektenpaar für den "Eigenbedarf" unter die Lupe nahm. Katrin Riedl und Sebastian Hempel kreisten eine Weile um das Grundstück. "Nicht so einfach, fünf Meter schmal das Stückchen Land und nur 100 Quadratmeter, dazu ein mehrwinkliger Grenzverlauf und strenge Gestaltungsregeln, die die Hansestadt für den Umgang mit dem Stadtkern aufgestellt hat", erzählt der Architekt.
Das Stadtzentrum von Wismar gehört zu den UNESCO-Weltkulturerbe-Schätzen. Schließlich sagten sich die Planer: "Wer sonst, wenn nicht wir!", und starteten das Projekt.
Optimale Aufteilung und drei Meter Raumhöhe
Das schmale Haus in Wismar ist auf drei Etagen aufgeteilt und hat eine komfortable Raumhöhe von drei Meter je Etage – das Dachgeschoss ausgenommen. "Jede Ebene ist ein Reich für sich geworden", findet Katrin Riedl und beobachtet Töchterchen Anna, wie sie zielstrebig und sicher Stufe für Stufe hinauf zum Kinderparadies auf dem Spitzboden klettert. Weit genug weg vom Ernst des Lebens im Erdgeschoss. Hier arbeitet das Büro "Hempel:Architekten".
Zwischen Arbeiten ganz unten und Spielen ganz oben liegt die Wohnebene mit Essplatz und Küche, darüber Schlaf- und Kinderzimmer und schließlich unter dem Dach das Gästezimmer.
Farben spült das Leben ganz von selbst ins Haus.
Katrin Riedl
Wohnen und Arbeiten unter einem Dach, Kinderzimmer und Platz für Gäste sollte das neue Haus haben. Es galt, dem handtuchschmalen Areal einen Grundriss anzupassen, der die vorgefundene Enge in Großzügigkeit verwandelt. Das neogotische Nachbarhaus bot gestalterische Vorlagen. Sebastian Hempel orientierte sich an der beachtlichen Firsthöhe.
Ein versteifender Kern, wie Sebastian Hempel die Box in der Mitte einer jeden Etage in Fachmanier nennt, teilt die langen, schmalen Flächen auf angenehme Weise. "Typischer Wismarer Grundriss übrigens, den findet man in den meistens schmalen und tiefen Häusern hier." In diesem zentralen Kern sind die Rohrleitungen verlegt und die Bäder untergebracht.
Holz, Weiß und Grautöne bilden freundliche Basis
Die Haustechnik wurde zusammen mit der liebsten Freizeitbeschäftigung der Architektin ausgelagert, um die Wohnfläche nicht zu beschneiden. Die Werkstatt im Hof hat zwei Etagen, unten restauriert Katrin Riedl alte Möbel. Schöne Stücke, wie Schrank und Kommode im Schlafzimmer, bekamen hier ihr zweites Leben geschenkt. Über der Werkstatt befinden sich Wasserspeicher, Gasbrennwerttherme und die Regler für die Haustechnik.
Katrin Riedl sitzt im Erkerfenster über der Scheuerstraße, blättert in einem Architektur-Bildband und spricht über ihr Raumkonzept: "Keine Farben, Holz, Weiß und Grautöne sind eine lichte Basis. Farben spült das Leben ganz von selbst ins Haus." Weniger ist mehr, wie wir wissen, und in diesem Fall gefühlt mehr Raum.
Daten und Fakten zum schmalen Haus
Baujahr: September 2009 bis Januar 2011
Bauweise: massiv
Baukosten: 1.307 Euro je Quadratmeter, insgesamt rund 200.000 Euro
Wohnfläche: 153 Quadratmeter (inklusive Büro)
Heizung: Gasbrennwerttherme/Wand- und Deckenheizung, Solarthermie
Energieeffizienz: wasserführender Kamin, Solarthermie-Anlage, Fenster mit Dreifachisolierverglasung, 16-cm-Wärmedämmverbundsystem für die Fassade, 22-cm-Perimeterdämmung unterhalb der Sohle
Architekt: Sebastian Hempel, Hempel:Architekten, Scheuerstraße 3, 23966 Wismar