Wohnen | Expertentipp

"Atmende Wand": Was ist das und wie funktioniert das?


Die Wand muss atmen können, das hört man immer wieder. Sonst bildet sich Feuchtigkeit und damit Schimmel. Was ist dran an dem Mythos "atmende Wände"? Unser Wohnglück-Experte klärt auf.

  1. Der Begriff führt in die Irre
  2. Wasserdampf-Aufnahmefähigkeit der oberen Wandschicht ist wichtig

Folgende Frage wurde an die Redaktion herangetragen: "Was bedeutet es eigentlich, wenn es heißt, dass eine Wand atmen können muss?"

Die Wohnglück-Experten antworten:

In vielen bauphysikalischen Erörterungen und Diskussionen fällt nach kurzer Zeit der Begriff "Atmung" der Wände. Der Begriff wird wie ein aus dem Ärmel gezogener Joker benutzt, um Argumente zu untermauern. Dieser Begriff der "Atmung" von Außenwänden wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von Professor Max von Pettenkofer, dem berühmten Münchener Hygieniker, "erfunden".

Der Begriff führt in die Irre

Schon allein die Verwendung des Begriffs "Atmung" in Bezug auf tote Materie, auf Steine, Mörtel und so weiter, führt in die Irre. Atmen, das heißt einen selbstständigen Luftaustausch vornehmen, können nur Lebewesen. Gemeint war damit jedoch die Luftdurchlässigkeit von Außenwänden, die von Pettenkofer als Voraussetzung für ein gesundes Raumklima annahm. Bereits 1928 widerlegte Erwin Raisch in seiner Untersuchung "Die Luftdurchlässigkeit von Baustoffen und Baukonstruktionen" diese Vorstellung. Er stellte fest, dass der Luftdurchgang durch ein einziges Schlüsselloch eines Zimmers 50 mal größer ist als durch einen Quadratmeter Außenwand.

Trotzdem wird der Begriff der "Atmung" von Wänden heute, nach über 150 Jahren, immer noch benutzt. Allerdings wurde er im Laufe der Zeit auf die Wasserdampf-Durchlässigkeit übertragen. Aber auch hier haben Versuche gezeigt, dass bis auf ganz wenige Ausnahmen (wie zum Beispiel bei Fachwerk-Fassaden) der Transport von Wasserdampf durch eine massive Wandkonstruktion so gering ist, dass man diesen Wert zumindest in Bezug auf das Raumklima vernachlässigen kann. Es findet also so gut wie kein Wasserdampf-Austausch durch die Dicke der gesamten Wand statt, der die Luftfeuchtigkeit beeinflussen würde.

Wasserdampf-Aufnahmefähigkeit der oberen Wandschicht ist wichtig

Ein ausgleichender Faktor für das Klima in Innenräumen ist dagegen die Wasserdampf-Aufnahmefähigkeit der oberen Wandschichten: des Putzes, des Anstrichs, der Tapete. Sehr positiv wirkt sich aus, wenn diese Oberflächen in der Lage sind, Wasserdampf über Absorption aufzunehmen und ihn später abzugeben.

Diese Aufnahmefähigkeit kann Schwankungen der Luftfeuchtigkeit wirksam ausgleichen und bis zu einem gewissen Grad Kondenswasser- und Schimmelbildung behindern, vorausgesetzt, es wird ausreichend und richtig gelüftet.

Allerdings ist es so, dass bei den heute sehr verbreiteten Raufaser-Tapeten je nach Qualität der Dispersionsfarbe oftmals bereits nach dem zweiten Anstrich die Wasserdampf-Aufnahme stark eingeschränkt wird. Besser sind Silikatfarben, sie können viel Wasserdampf aufnehmen.

Das wird dich auch interessieren