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Barrierefreies Wohnen: So geht grenzenloses Wohnglück

Portrait von Dirc Kalweit
Dirc Kalweit


Ein komplett barrierefreies Haus von Anfang an planen und bauen, das gibt es gar nicht so oft. Wir stellen ein Paar vor, das sich sein Wohnglück erfüllt hat.

  1. Mehr als nur bürokratische Hürden
  2. Barrierefreies Haus: Per Autolift in die Tiefgarage
  3. Eine Heizung, die auch kühlt
  4. Baubegleitender TÜV für alle Funktionen

Ein komplett barrierefreies Haus – im Osten von München hat sich das Ehepaar Geiger / Kürzl diesen Traum vom idealen Wohnen erfüllt: Weil Walter Kürzls Frau im Rollstuhl sitzt, bezeichnet er sich selbst als Fußgänger. Damit fasst er die Lebenssituation des Paares schnell zusammen. Denn während er sich im Alltag frei bewegen kann, ist Marion Geiger von den Gegebenheiten der Umgebung abhängig.

Um diese im eigenen Haus möglichst optimal zu gestalten, verwirklichten beide ihren Traum vom komplett barrierefreien Haus im Osten von München. Was so einfach und konsequent klingt, war allerdings mit viel Aufwand und Einsatz verbunden.

  • Frau im Rollstuhl sitzt in ihrem barrierefreien Haus.
  • Barrierefreies Haus mit gutem Zugang im Außenbereich
  • Bad komplett aus Granit ohne verfugte Platten
  • Photovoltaikanlage neben einer Dachterrasse

Mehr als nur bürokratische Hürden

Zwar kennt sich Kürzl als ehemaliger IT-Leiter auf Großbaustellen mit anspruchsvollen Projekten aus. Trotzdem war er so manches Mal überrascht, welche Fallstricke er bei der Planung im Jahr 2013 umgehen musste. "Für die Barrierefreiheit", so resümiert der 69-Jährige, "gibt es diverse DIN-Normen. Die widersprechen sich aber zum Teil. So ergibt sich die Höhe der Arbeitsplatte aus der Unterfahrbarkeit von Herd und Spüle. Dann ist aber die Arbeitshöhe, zum Beispiel zum Gemüseschneiden, für Rollstuhlfahrer zu hoch."

Entmutigen ließ sich das Paar von solchen Hindernissen nicht. Im Gegenteil: Gemeinsam mit einem Archi­tekten ging es an die umfassende Planung, die schon bei der Gebäudehülle begann. Einschalig und aus Ytong-Steinen erfüllt sie offiziell den KfW-70-Standard, reicht laut Kürzl aber locker an die KfW-55-Bestimmungen heran.

Barrierefreies Haus: Per Autolift in die Tiefgarage

Fortschrittlich waren auch die Ideen für den Innenbereich. Die Ausstattung beinhaltet beispielsweise eine Haussteuerung, dank der sich von der Heizung bis zu den Jalousien alles steuern lässt, sowie Schalter und Sensoren, die ohne Batterie oder Strom funktionieren. Bei der Verwandlung in ein Smart Home, in dem sich zum Beispiel die Schalter überallhin mitnehmen lassen, war es sicher von Vorteil, dass Kürzl als gelernter Fernmelde- und Nachrichtentechniker tief in der Materie steckt.

Vorausschauend war auch die Aufteilung des Hauses. Zusätzlich zu den rund 360 Quadratmetern Wohnfläche umfasst das Gebäude noch eine separate Einliegerwohnung. "Sollte meine Frau einmal pflegebedürftig werden", sagt Kürzl, "dann haben wir den entsprechenden Platz für die Betreuung."

Marion Geiger und Walter Kürzl waren an der Planung und Ausführung ihres Hauses aktiv beteiligt.

Ganz schön weitläufig, möchte man meinen – doch das sind die typischen Gedanken von "Fußgängern". Wer auf den Rollstuhl angewiesen ist, für den sind breite Durchgänge, glatte Ebenen und großzügige Flächen eine enorme Erleichterung. Viel Platz ist hier eine Notwendigkeit: Zum Fahren und Drehen benötigt ein Rollstuhl einen Wendekreis von 1,5 Metern.

Weil eine auf diese Bedürfnisse ausgerichtete Garage über die Grundstücksgrenzen hinausgegangen wäre, wurde das Geschehen einfach in die Tiefe verlegt. Jetzt erfolgt der Ein- und Ausstieg zwar auch überdacht. Wird der Wagen aber nicht gebraucht, verschwindet er per Autolift in der eigenen Tiefgarage.

Autolift im barrierefreien Haus
Ein besonderer Clou des Hauses ist der Autolift für die eigene Tiefgarage.

Eine Heizung, die auch kühlt

Aus der Tiefe bezieht das Ehepaar Kürzl / Geiger auch einen Teil seiner Energie. Über eine Grundwasser-Wärmepumpe wird das Wasser für die Heizung erhitzt. Diese, und das ist ebenfalls ein interessantes Detail in dieser an technischen Finessen reichen Immobilie, befindet sich in der Decke. "Eine Deckenheizung", sagt Kürzl, "hat zwei Vorteile: Sie haben keine Heizkörper im Raum stehen, und im Sommer kann das System das Haus auch kühlen."

Als Back-up für besonders strenge Wintertage bzw. für die Warmwasseraufbereitung, wenn die Wärmepumpe bereits mit der Kühlung beschäftigt ist, steht noch eine kleine Gastherme zur Verfügung. Für die Stromversorgung wurde auf dem Dach eine Photovoltaik­­-Anlage mit einer Leistung von 9,7 kW installiert – inklusive Pufferspeicher und Möglichkeit der Resteinspeisung.

Baubegleitender TÜV für alle Funktionen

Viel Planung, viel Technik und natürlich viele Fragen, die geklärt werden mussten. Wie verliert man da nicht den Überblick? "Wir hatten einen baubegleitenden TÜV", erzählt Kürzl, "der in verschiedenen Bauphasen dabei war."

Der TÜV nahm unter anderem auch die sieben im gesamten Haus vorhandenen Elektroverteiler und -zähler ab. Wozu so viele? "Man weiß ja nie, was kommt", sagt Kürzl. "Auf jeden Fall können wir jedes der drei Stockwerke aufgrund der technischen Vorleistungen zu einer eigenen, separaten Wohnung machen."

Barrierefreies Haus: Steuerung per Wandtaster
Alle Türen lassen sich per Schalter öffnen und schließen. Zusätzlich gibt es noch eine umfassende Sprachsteuerung.

Bei allen praktischen Ansätzen und Realisierungen darf es natürlich an Komfort nicht fehlen. Hobbykoch Kürzl hat sich eigens eine kleine Kühlzelle einbauen lassen, ein kleines Heimkino bietet Platz für gesellige Runden, und das barrierefreie Bad besteht komplett aus Natursteinen.

Dann wäre ja alles komplett und perfekt, oder? "Ja", bestätigt Kürzl. "Sogar die Sprachsteuerung funktioniert, sodass meine Frau jetzt im gesamten Haus die Smart-Home-Funktionen nutzen kann."

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